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Christina May'21

2021

Verbunden mit der Nominierung für den Nachwuchskunstpreis für bildende Kunst Mecklenburg-Vorpommern 2020 war eine Ausstellungsbeteiligung samt Begleitkatalog - "Hier & Jetzt" 2021 im Mecklenburgischen Künsterhaus Schloss Plüschow. Für die Preisverleihng und den besagten Katalog schrieb Kunsthistorikerin Dr. Christina May folgenden Text über mich und meine Arbeit(sweise) :

Mikrokosmen

 

Rico.s künstlerische Arbeit lässt sich keinen klassischen Gattungen zuordnen. Das Transmediale ist Programm. Sie realisiert Malerei, Plastik oder Zeichnung, nutzt Sprache und Schrift und verbindet mitunter sämtlicher dieser Ausdrucksmittel in Objekten und Installationen. Auf diesen verschiedenen Ebenen entwickelt sie eine eigenständige Formensprache, die sich durch die Medienwechsel fortschreiben. Die Arbeiten folgen meistens einem Grundprinzip: Rico. entwirft experimentelle Konstellationen in einer bestimmten Umgebung mit verschiedenen Beteiligten – manchmal Menschen, mal Objekte oder auch Text.

So treffen beispielsweise in der Reihe Rubber + Pin Radiergummis und Reißzwecken innerhalb eines mit Kohlepapier beschichteten Objektrahmens aufeinander. Indem die Künstlerin den Rahmen immer wieder energisch in die gleiche Richtung stürzt, hinterlassen die beiden Objekte mit ihren sehr gegensätzlichen Eigenschaften unterschiedliche Spuren auf dem Kohlepapier. Der Rahmen dient als Miniaturarena für eine performative Untersuchung der harten kratzenden Reißzwecke und des weichen, sich einfärbenden Radiergummi.

Bei inter- kommt es zu einem Austausch zwischen verschiedenen Materialien mit der Umgebung. Zwei Gipssorten, Ton und Strümpfe befinden sich in vier Aquarien. Durch das Raumklima beginnen die Stoffe zu atmen. Flüssigkeit verdunstet, kondensiert, der Ton wird flüssig und läuft nach unten. Ein ökologischer Prozess scheint hier wie in einer Laborsituation abzulaufen. Die räumliche Umgebung spielt auch in ihrer Funktion als Erinnerungsort eine wichtige Rolle. Mit ortsbezogenen Installationen geht Rico. sensibel auf historische und soziale Kontexte ein. In dieser Auseinandersetzung mit sozialen Konstellationen werden die Betrachter:innen mitunter zu aktiven Komponenten der Arbeiten. Ihre Wahrnehmungsweisen und Vorurteile werden einbezogen, reflektiert oder an das Publikum zurückgeworfen.

Diese Wechselwirkung wird besonders in Rico.s Textarbeiten deutlich. Sprache wird zu einem Material, das verändert wird, wenn es auf eine andere Umgebung trifft. Sprache ist abhängig vom Kontext, von ihrem Ort, an dem sie performt wird. Das Abstrakte wird dabei zu einem Material, das eine Transformation unterläuft, wenn es an einem bestimmten Ort seinen Rahmen erhält.

Das Politische ist Rico.s Arbeiten inhärent, tritt in einigen von Rico.s Arbeiten sehr deutlich zu Tage. Der aufklärerische Auftrag wird tragisch-komisch gebrochen, wie beispielsweise die Dritte Säule, die 2020 im Kulturhaus Mestlin gezeigt wurde. Eingerahmt ist ein Stück Raufaser-Tapete, die schlecht tapeziert Falten wirft. Ein Bild der Kargheit angesichts des Kulturausfalls durch die Covid-19-Regelungen. Die Dritte Säule war die kulturpolitische Lösung zur Unterstützung der Künstlerinnen und Künstler, ihnen vereinfachten Zugang zur Grundsicherung zu gewähren. Dies ist sicherlich tragisch, doch die mahnende gerahmte Standard-Tapete Erfurt als ästhetischer Genuss ist so skurril, dass die Betrachter:innen eingeladen sind, sich ihre absurden Geschichten dahinter auszudenken. Die Arbeit ist damit ein theatraler Startpunkt fürs Kopfkino und trägt sicherlich bei aller Frustration auch zur Katharsis bei. Humor bricht ernsthafte Thematiken auf. Der kritische Kommentar wird mit einer sicher ausgearbeiteten formalen Lösung verbunden. Diese Ambivalenz lädt zur vielschichtigen Auseinandersetzung ein.

Die konzeptuelle Ausrichtung auf die Wechselwirkungen und Co-Autorschaft durch Dinge und menschliche Akteure umfasst auch Rico.s Produktionsweise. Seit 2017 arbeitet sie gemeinsam mit Ramona Seyfarth als Künstlerkollektiv Prinzip:Sonja. Die Arbeit im Kollektiv ist eine konsequente Weiterführung ihrer künstlerischen Verfahrensweise, in der die Wirkungen anderer Akteure eine tragende Rolle spielen.

Rico. konzipiert Mikrokosmen, die mit der Welt interagieren, von ihr beeinflusst werden und dadurch schließlich zu einer Form finden.

Christina May'19

2019

Verbunden mit der Nominierung für den Nachwuchskunstpreis für bildende Kunst Mecklenburg-Vorpommern 2018 war eine Ausstellungsbeteiligung samt Begleitkatalog - "Hier & Jetzt" 2019 im Mecklenburgischen Künsterhaus Schloss Plüschow. Für besagten Katalog schrieb Kunsthistorikerin Dr. des. Christina May folgenden Text über mich und meine Arbeit(sweise) :

Ricos. Arbeiten berühren verschiedene Medien, befinden sich zwischen Zeichnung und Installation, Malerei und Graffito oder Objektkunst und Neuen Medien. Diese genreübergreifende Arbeitsweise ist Grundlage ihrer künstlerischen Methode, denn
Rico.s durchgängiges Konzept ist die Umformulierung von Themen, Stoffen und Motiven in alternative Materialien. Mit jeder Übersetzung in eine andere Form entsteht etwas Neues; die bloße Substitution des einen Materials durch ein anderes ist nicht möglich.
Nach diesem Prinzip wird beispielsweise handgeschriebener Text solange überlagert, bis er zur Malerei wird. Diese wird übermalt und dient schließlich als blättriger Grund für einen Schriftzug: „Ein demokratischer Prozess hat stattgefunden.“
In Crivitz wird ein Text aus alltäglich erscheinenden Sätzen in einem Wahlkreisbüro auf den Wänden platziert. Das Publikum ist zur Lektüre aufgefordert und schreitet die vielen Blätter mit den einzelnen Sätzen ab. Die Erwartung einer konventionellen
Kunstausstellung wird untergraben: Die Texte reflektieren die Rezeption der Besucher und regen gedankliche und auch verbale Dialoge an.
Neben den Texten spielt das Material selbst eine bedeutsame Rolle: Aus scheinbar wertlosen Gebrauchsmaterialien werden Objekte zusammengefügt und mit verschiedenen Farben oder anderen zähflüssigen Stoffen Synthesen gebildet.
Plastikfolien werden zu transparenten Körpern, die an farbiges Glas erinnern. Die Auseinandersetzung mit dem Dreidimensionalen verweist – bei aller Materialvielfalt – auf Rico.s ursprüngliches künstlerisches Genre.
Ausgebildet wurde Rico. zunächst als Glasbildnerin an der Glasfachschule Zwiesel.
Bereits dort war die Möglichkeit attraktiv, verschiedene Materialien auszuprobieren.
Das Studium der Freien Kunst war daher die konsequente Fortsetzung ihres experimentellen Gestaltungsansatzes. Mit dem Schwerpunkt Glas studierte Rico. daher am Institut für Künstlerische Keramik und Glas Höhr-Grenzhausen der
Hochschule Koblenz. Geboren in Neustrelitz, lebt Rico. heute wieder in Neubrandenburg.
Glas verwendet Rico. inzwischen nur noch selten, da es fest und für die Ewigkeit gedacht ist. Damit steht es ihrer prozessualen Arbeitsweise entgegen. Rico. fertigt sogenannte „Materialporträts“ an, auf der experimentellen Suche nach dem
jeweiligen spezifischen Verhalten und Formen. Sie überträgt Formen und Eigenschaften des einen Materials auf ein anderes. Dadurch ähneln sich die einzelnen Objekte aus Wachs, Glas, Ton oder Gips zwar, doch entsteht mit jedem Material eine eigene, besondere Form. Dieses Vorgehen setzt sie in abstrakter Druckgrafik, Malerei oder auch mit Fotografien fort, die wiederum an Farbfeldmalerei erinnern.
Der abstrakte Kompositionsprozess der Materialexperimente besitzt seine Entsprechung in erzählerischen, oftmals politischen oder intim persönlichen Narrativen. In ihren Übersetzungsprozess erhalten die Dinge und Gedanken, ebenso wie Phänomene oder Ereignisse eine neue Gestalt und entfalten damit neue Wahrnehmungsmöglichkeiten.
Die Arbeiten werden oftmals durch die konkreten Ausstellungsorte geprägt und speziell für diese entwickelt. Dabei spielen auch physische Belastungen für die Werke eine Rolle. Feuchtigkeit, beengte Flure oder unebene Wände wirken sich auf die Präsentation und auf die Kunst selbst aus. Rico. treibt dabei konsequent ihr Thema von Übersetzungen und Neuformulierungen weiter, wenn die originären künstlerischen Arbeiten nicht mehr physisch anwesend sind, sondern nur noch digital, durch stellvertretende QR-Codes vermittelt werden.
Die Besonderheiten der Orte sind aber nicht nur eine formale Herausforderung. Auch inhaltlich geht Rico. auf die Spuren und Geschichten der Räume ein und verweist auf Erzählerisches. Für die Nervenheilanstalt Domjüch entwickelte sie zum Beispiel geisterhaft weiße Figuren aus Butterbrotpapier. Die transparenten Papierschichten wurden im Gegenlicht durchleuchtet. Die kopflosen Gestalten sind schemenhaft als vereinfachte, comicartige Körper entworfen. Durch diese Überzeichnung erscheinen sie neutral und keineswegs abschreckend oder gar auf Traumata verweisend.
Humor dient bei den Installationen in Domjüch und bei vielen weiteren Werken Rico.s dazu, die Ernsthaftigkeit eines Themas in einer noch erträglichen Form zu vermitteln.
Die Überzeichnungen – ob mit Comicelementen oder Wortwitzen – sorgen dafür, dass ihre gesellschaftskritischen, deklamatorischen Sätze nicht zur Propaganda werden. Die intimen Einblicke bewahren durch die Karikatur die persönliche Distanz.
Die multiplen Realitätsebenen der Werke schließen auch das ironische Augenzwinkern ein.

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